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bAV im Spagat  | 5 Fragen an

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Fünf Fragen an ...
Carsten Hölscher | bAV im Spagat zwischen frei gestaltbar und paternalistisch


Die Annahme, dass sich Menschen bei wirtschaftlichen Entscheidungen nicht immer rational verhalten, trifft anscheinend auch für die Altersversorgung zu. Viele Mitarbeiter erkennen zwar die Notwendigkeit, für das Alter vorzusorgen, können sich aber dennoch nicht dazu entschließen, an den oft sehr attraktiven Versorgungsprogrammen ihrer Arbeitgeber teilzunehmen


Woran liegt es, dass viele Mitarbeiter trotz Erkenntnis der Notwendigkeit, nicht genügend für ihr Alter vorsorgen?

Hölscher: Die Antwort auf diese Frage ist nicht einfach und hängt wahrscheinlich mit der Wesensart des Menschen zusammen. Viele betriebliche Versorgungswerke sehen für Entgeltumwandlungen so attraktive Bedingungen vor, dass die zögerliche Haltung der Mitarbeiter – bei rationaler Betrachtung - nicht nachvollziehbar ist. Beispielsweise bieten viele Unternehmen überdurchschnittliche Zinsgarantien oder stocken Eigenbeiträge durch Unternehmenszuschüsse auf.

Für Mitarbeiter mit geringen Einkommen könnte argumentiert werden, dass diese sich Eigenbeiträge für das Alter nicht leisten können. Diese Erklärung mag für einige Mitarbeitergruppen zutreffen, ist aber für einen Großteil der Belegschaft nicht überzeugend.

Viel wahrscheinlicher ist nach meiner Einschätzung, dass viele Mitarbeiter die fehlende Leistungsfähigkeit und sicherlich auch die Komplexität der betrieblichen Altersversorgung (bAV) lediglich als Alibi verwenden, um sich mit einem unliebsamen Thema nicht beschäftigen zu müssen. Unmittelbare Verhaltensänderungen, dessen Vorteile erst in der fernen Zukunft spürbar sind, erfordern den Menschen oft zu viel Selbstdisziplin ab. Oft sind es ja noch Jahrzehnte bis zur eigenen Rente.

Wie lassen sich die Teilnahmequoten bei Entgeltumwandlungsprogrammen steigern?

Hölscher: 
Aus den bereits beschriebenen Gründen werden finanzielle Vergünstigungen allein nicht ausreichend sein. Vielmehr muss es gelingen, die menschliche Trägheit zu überlisten. Mit Interesse habe ich hierzu die Überlegungen von Richard H. Thaler und Cass R. Sunstein in ihrer Abhandlung „Nudge“ gelesen. Sie plädieren dafür, menschliche Verhaltensmuster bei der Architektur eines Vorsorgesystems zu berücksichtigen, um ein gesellschaftlich gewünschtes Ergebnis zu fördern. 

Im konkreten Fall könnte man auf Basis einer typisierenden Betrachtungsweise eine für den Mitarbeiter vorteilhafte Entgeltumwandlungszusage entwickeln (z.B. Beitragsverläufe, die mit der betrieblichen Karriere des Mitarbeiters atmen). Diese Zusage kommt immer dann zur Anwendung, wenn er ihr nicht explizit widerspricht. 

Diese Idee liegt auch dem durch das Betriebsrentenstärkungsgesetz eingeführte Optionssystem (das auch mit dem Begriff Opting Out bezeichnet wird) zugrunde. Allerdings stellt der Gesetzgeber dies unter den Vorbehalt einer tarifvertraglichen Regelung. Damit hat er der Verbreitung der Entgeltumwandlung meines Erachtens einen Bärendienst erwiesen. Der Gesetzgeber erzeugt dadurch eine Unsicherheit, ob Optionssysteme ohne tarifvertragliche Regelung überhaupt zulässig sind. 

Was könnte die Unternehmen motivieren, solche Zusagen dennoch einzuführen?

Hölscher: Zunächst um Missverständnisse zu vermeiden, halte ich die Einführung eines Optionssystems für neue Mitarbeiter auch ohne einen entsprechenden Tarifvertrag für rechtlich zulässig. 

Davon abgesehen lassen sich die Ziele des Unternehmens besser erreichen, wenn sich die Mitarbeiter an der Finanzierung beteiligen. Dies steigert die Wertschätzung für die betriebliche Altersversorgung, und es lassen lassen sich ehrgeizigere Versorgungsziele erreichen. Gut abgesicherte Mitarbeiter sind für das Unternehmen die verlässlicheren Partner, da der Eintritt in den Ruhestand kein finanzielles Risiko darstellt. Die Mitarbeiter können sich damit, unbeeinträchtigt von finanziellen Sorgen, auf ihre betrieblichen Aufgaben konzentrieren. Der Eintritt in den Ruhestand wird sowohl für den Mitarbeiter als auch für das Unternehmen planbarer. Somit ist es für das Unternehmen auch einfacher, Karriere- und Nachfolgeplanungen zu gestalten. Letztendlich hilft ein wertgeschätztes Versorgungspaket die Wettbewerbsfähigkeit des Arbeitgebers zu verbessern.

In Ihrem „Whitepaper“ weisen Sie auf die Vorteile hin, die bAV an die  individualisierten Bedürfnisse der Mitarbeiter auszurichten. Gleichzeitig schlagen Sie vor, standardisierte Paketlösungen anzubieten. Wie passt das zusammen?

Hölscher: Flexibilität und Standard sind insofern kein Widerspruch, wenn die vorkonfigurierte Regelung nur als Auffanglösung dient. Mitarbeitern, die ihre Altersversorgung aktiv planen und Entscheidungen umsetzen, bekommen jedoch die Möglichkeit dazu und werden ermutigt, dies weiterhin zu tun. Denn eine passgenaue Lösung erhöht den Nutzen für den Mitarbeiter und seiner Angehörigen. Für all diejenigen Mitarbeiter, die er versäumen, sich um das Thema aktiv zu kümmern, ist der Standard immer noch besser, als kurz vor dem Ruhestand festzustellen unversorgt zu sein.  

Wenn das so einfach geht, warum gibt es das nicht schon längst?

Hölscher: Ganz einfach, weil der Handlungsdruck noch nie so hoch war wie heute. Aufgrund der demografischen Veränderungen wächst die sich im Alter ergebende Versorgungslücke. Gleichzeitig fällt es durch das Niedrigzinsumfeld immer schwerer, die Lücke durch eine private Sparanstrengungen zu schließen. 

Daher steigt der Druck der Bundesregierung auf Unternehmen und Mitarbeiter, die bAV zu verbreitern und Versorgungsleistungen zu erhöhen. Die Einführung des Sozialpartnermodels und einiger begleitender Maßnahmen macht dies deutlich. In diesem Umfeld können sich meines Erachtens die Unternehmen nicht mehr leisten, dass sich große Teile ihrer Belegschaft der Verantwortung entziehen, für das Alter vorzusorgen. 

Gemischt finanzierte Modelle, die für die breite Belegschaft ein vernünftiges Versorgungsniveau im Alter sicherstellen, sind daher im allerseitigen Interesse, d.h. im Interesse des Mitarbeiters, des Unternehmens und der Gesellschaft.

Fazit: Aus meiner Sicht sollten Unternehmen die angestrebten Versorgungszielen wieder stärker in den Fokus ihrer Überlegungen rücken. Dies beinhaltet auch die Frage, inwieweit Entgeltumwandlungsangebote von den Mitarbeitern tatsächlich genutzt werden. Denn eins sollte allen bewusst sein, eine adäquate Versorgung im Alter setzt eine gemeinsame Anstrengung voraus.

Sie wünschen weiterführende Informationen? Dann kontaktieren Sie Carsten Hölscher.


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