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Langlebigkeitstrends | 5 Fragen an

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Fünf Fragen an ...
Dr. Christian Rasch | Modellierung und bilanzielle Auswirkung von Langlebigkeitstrends


Biometrische Rechnungsgrundlagen wie die Heubeck-Richttafeln 2018 G (RT 2018 G) spielen bei der Bewertung betrieblicher Versorgungsverpflichtungen eine zentrale Rolle. Die künftige Verlängerung der Lebenserwartung ist in den RT 2018 G bereits über Projektionsfaktoren eingerechnet. Bei typischen Rentenzusagen macht dies insgesamt zwischen 10 und 15 % des Verpflichtungsumfangs nach HGB oder IFRS aus. Dr. Christian Rasch von Aon spricht über mögliche alternative Ansätze bei der Einschätzung der Lebenserwartung, die auch zu einer Aufwandsreduktion für die bilanzierenden Unternehmen führen können.


Welche Annahmen für die Entwicklung der Lebenserwartung werden bei der Bewertung deutscher bAV-Anrechte normalerweise berücksichtigt?

Dr. Rasch: Standard und allgemein anerkannt für die Bewertung von betrieblichen Versorgungsverpflichtungen in Deutschland sind die Heubeck-Richttafeln 2018 G (RT 2018 G). Diese enthalten Trendfaktoren, die die künftige Entwicklung der Lebenserwartung beschreiben und sich aus der historischen Verbesserung der Langlebigkeit im Beobachtungszeitraum von 1986 bis 2012 ableiten. Diese Faktoren sind im Grunde nichts anderes als die annualisierte Abnahme der Sterblichkeit im Beobachtungszeitraum, die pro Alter und gesondert für Männer und Frauen ausgewertet wird. Die Faktoren liegen für Männer im Altersbereich zwischen 50 und 85 im Schnitt bei etwa 2,0 % pro Jahr, für Frauen bei 1,7 %. Bei der überwiegenden Mehrzahl der bilanzierenden Unternehmen kommen diese Faktoren unverändert zur Anwendung.

Halten Sie die Annahmen für realistisch? Gibt es alternative Ansätze?

Dr. Rasch: Die Entwicklung der Lebenserwartung wird von vielerlei Faktoren beeinflusst, wie bspw. Wohlstand, Bildung, medizinischer Fortschritt, Ernährung, Drogenkonsum usw. und lässt sich daher nur schwer vorhersehen. Um dennoch zu einer sinnvollen Einschätzung zu kommen, werden i.d.R. historische Beobachtungsdaten extrapoliert, so wie die RT 2018 G auf der Entwicklung im Zeitraum 1986 bis 2012 basieren. Während für die Trendfaktoren der RT 2018 G aber nur die mittlere Langlebigkeitsverbesserung pro Alter für den gesamten Beobachtungszeitraum ermittelt wird, gibt es wesentlich detailliertere Modelle wie z.B. den sogenannten CMI-Ansatz, mit denen sich bspw. auch Kohorteneffekte fortschreiben lassen, d.h. auffallende Unterschiede in der Entwicklung der Sterblichkeit bei einzelnen Geburtsjahrgängen.

Wenn man sich aktuellere Daten anschaut, stellt man zudem fest, dass die Trends zur Verlängerung der Lebenserwartung seit 2011 signifikant abgenommen haben (seit 2011 wurde in Westdeutschland im Mittel eine jährliche Sterblichkeitsverbesserung von nur etwa 1 % beobachtet, davor waren es seit den 1970er Jahren eher rund 2 %). Im 20. Jahrhundert hatten insbesondere Innovationen in der Medizin zum hohen Anstieg der Lebenserwartung beigetragen – bspw. hat sich die Anzahl von Herzinfarkt­toten seit 1980 halbiert. Der Fortschritt hat aber in den letzten Jahren nicht mehr zu vergleichbaren Verbesserungen geführt. Auch wird vermehrt in unteren Gesellschaftsschichten eine Zunahme ungesunder Lebensweisen beobachtet, was in den USA sogar seit einigen Jahren zu einer insgesamt rückläufigen Lebenserwartung führt. Ähnliche Effekte ergeben sich z.T. auch durch Medikamenten-Missbrauch und Drogenkonsum (sog. Opioid-Krise).

Angesichts der geringeren Verbesserung der Lebenserwartung in den letzten Jahren, die bei der Erstellung der RT 2018 G nicht berücksichtigt wurde, erscheinen die Trendfaktoren der RT 2018 G also aus heutiger Sicht verhältnismäßig hoch.

Wofür steht der erwähnte CMI-Ansatz und welche Vorteile bietet er?

Dr. Rasch: CMI steht für „Continuous Mortality Investigation“ (kontinuierliche Sterblichkeits-Untersuchung) und ist eine Initiative der britischen Aktuarvereinigung, die sich mit der Entwicklung und Aktualisierung biometrischer Rechnungsgrundlagen beschäftigt. Der CMI-Ansatz zur Projektion der Lebenserwartung stützt sich auch auf historische Beobachtungsdaten, weist aber verglichen mit dem Ansatz der RT 2018 G eine höhere Detailgenauigkeit auf. Insbesondere werden die aus den Daten abgeleiteten Langlebigkeitstrends in Alters-/Periodeneffekte einerseits und Kohorteneffekte andererseits aufgespalten und gesondert extrapoliert, während nach den RT 2018 G nur Sterblichkeits-Veränderungen pro Alter berechnet werden.

Zudem bietet der CMI-Ansatz Unternehmen die Möglichkeit, eigene Einschätzungen über die langfristige Entwicklung der Lebenserwartung einfließen zu lassen. Für multinationale Unternehmen, die das CMI-Verfahren bspw. schon in UK anwenden, können damit auch für Deutschland – da sich die Sterblichkeit weitgehend parallel wie in UK entwickelt hat – konsistente Langlebigkeitstrends angesetzt werden. Insbesondere kann der seit einigen Jahren rückläufige Anstieg der Lebenserwartung berücksichtigt werden, was für die bilanzierenden Unternehmen zu einer spürbaren Entlastung in Verpflichtungsumfang und Pensionsaufwand führt.

Ist der CMI-Ansatz für die Bewertung in Deutschland anwendbar?

Dr. Rasch: Der CMI-Ansatz zur Modellierung der Langlebigkeitsverbesserungen lässt sich unkompliziert mit der Basistafel der RT 2018 G kombinieren. Da das CMI-Modell bereits in anderen Ländern unter IFRS/IAS 19 angewandt wird und gegenüber dem RT 2018 G-Ansatz zu einer detaillierteren Abbildung von Langlebigkeitstrends in der Bewertung führt, stellt es insoweit einen bewährten „best estimate“ dar. Dementsprechend steht einer Anwendung nach IFRS/IAS 19 auch in Deutschland nichts entgegen. Gleiches gilt auch für die Bilanzierung nach HGB, bei der auch der Erfüllungsbetrag der betrieblichen Versorgungsverpflichtung auf Basis bester Schätzwerte zu ermitteln ist.

Steuerlich dürfte die Anerkennung des CMI-Ansatzes schwieriger zu erreichen sein, da hier hohe Hürden für den Ansatz individueller Rechnungsgrundlagen anstelle der vom BMF anerkannten RT 2018 G bestehen. Angesichts des im Zusammenhang mit dem CMI-Ansatz i.d.R. sinkenden Verpflichtungsumfangs dürfte dies aber für Unternehmen auch nicht im Fokus liegen.

Welche Auswirkungen können sich auf Bilanz und Aufwand ergeben?

Dr. Rasch: Die bilanziellen Auswirkungen des CMI-Ansatzes hängen entscheidend von der Festlegung der Langfristtrends für Männer und Frauen ab. Orientiert man sich an der Langlebigkeitsentwicklung der letzten 10 Jahre, wäre bspw. ein Trendfaktor von 1,50 % für Männer und 1,25 % für Frauen – statt der vorhin erwähnten Heubeck-Trends von 2,0 % bzw. 1,7 % – angemessen. Damit reduziert sich der Verpflichtungsumfang nach IFRS oder HGB gegenüber einer Bewertung mit den unmodifizierten RT 2018 G für einen Beispielbestand um ca. 3-4 %. Das Beispiel bezieht sich auf eine typische Rentenzusage mit Hinterbliebenenrente und mittlerer Duration. Bei Kapitalsparplänen mit Ratenzahlung, die dem Langlebigkeitsrisiko nicht in dem Maße ausgesetzt sind, oder reinen Rentnerbeständen können es auch geringere Effekte sein. Neben dem Verpflichtungsumfang sinkt auch der Pensionsaufwand (laufender Dienstzeitaufwand und Zinsaufwand) entsprechend ab. Zu beachten ist dabei, dass der Effekt aus der Umstellung auf CMI nach IFRS einmalig im Jahr der Umstellung erfolgsneutral im OCI, nach HGB aber erfolgswirksam erfasst wird.

Fazit: Die Entwicklung der Lebenserwartung hat einen entscheidenden Einfluss auf die Höhe des Umfangs betrieblicher Versorgungsverpflichtungen. Neben dem etablierten Heubeck-Ansatz zur Modellierung künftiger Langlebigkeitstrends bestehen aber durchaus Alternativen, die sogar auf einen geringeren Verpflichtungsaufwand und Pensionsaufwand führen können. Gerne berät Sie Aon zu möglichen alternativen Ansätzen.


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